Monteverdi

Vesperae Beatae Mariae Virginis

Werkeinführung zu Monteverdis „Marienvesper“

Als Claudio Monteverdi 1610 die ‚Marienvesper’ in Druck gab, war er am Hofe Vincenzo I. Gonzagas in Mantua als "Maestro et de la camera et de la chiesa sopra la musica" angestellt. Er war einer der bekanntesten Komponisten Italiens und führend in der Madrigalkunst und dem neuen Genre Oper. Mit der ‚Marienvesper’ und der im gleichen Druck erschienenen ‚Marienmesse’ wollte er sich als im alten und neuen Stil versierter Künstler für eine Stelle bei Papst Paul V. in Rom empfehlen…

Damit ist schon fast alles gesagt, was die öffentliche Wahrnehmung des Werks zu Lebzeiten Monteverdis betrifft.

Im Februar 1935 wurde die ‚Marienvesper’ in Winterthur, Zürich und Lausanne vom Häusermann-Privatchor unter Hermann Dubs zum wahrscheinlich ersten Mal überhaupt aufgeführt. Weder frühere Aufführungen noch eindeutige Beweise für einen stiftenden Anlass konnten bisher in der Forschung ausgemacht werden.

Die „Marienvesper“ erscheint nach ausführlicher Analyse aufgrund des symmetrischen Aufbaus, dem Wechsel der Erzählformen in den Psalmen und Concerti, dem verbindenden Thema des Cantus firmus und der abwechselnden Besetzungen solistischer – und Tuttipassagen wie die Frühform einer neuen Gattung: des Oratoriums. Die Concerti bilden das dramatische Element, die Psalmen die meditativen Reflexionen. Die Struktur der ganzen Anlage bis in die einzelnen Teile hinein ist aus dem Prinzip der Symmetrie gewonnen, die, vom kleinen Maßstab angewendet das ganze Werk in seiner Form entstehen lässt. Gleichzeitig ist das verbindende Thema der Cantus firmus, der allen Psalmen, der Sonata, dem Hymnus und dem Magnificat zugrunde liegt. Über diesem tradierten musikalisch-theologischen Grundstein wird ein musikalisches Gebäude errichtet, das an Vielfalt, Abwechslungsreichtum bei grösster Stilsicherheit seinesgleichen sucht.

Auch lässt sich an Monteverdi wie an kaum einem anderen Komponisten veranschaulichen, dass Musik eine Sprache mit Inhalten und Bedeutungen ist. Bei der Sprache unterscheiden wir zwischen Grammatik, Phonetik und Semantik: den Regeln des Satzbaus, des Sprachklangs und der Lehre der Inhalte. Genau dieselben Unterscheidungen machen in der Musik Sinn. Die Satzlehre oder Kompositionsregeln, der Klang der Töne und die Inhalte oder Bedeutungen, die durch die Strukturen vermittelt werden. Monteverdi veranschaulicht den Bau der Stadtmauern Jerusalems, erweist Papst Paul V. durch die Verwendung der ‚Romanesca’ seine Reverenz, lenkt das Ohr auf die Architektur des ‚Nisi Dominus’ oder lässt uns ein Stück vertonte Ewigkeit erleben: all das mit den Mitteln der Musik, die dem Text zum Ausdruck verhilft. Musik ist nicht nur eine herzerwärmende Kunst, die uns schöne Gefühle beschert. Musik ist auch eine Botin für aussermusikalische Inhalte und Bedeutungen, eine Sprache, die mit ihren ureigenen Mitteln Botschaften sendet. Als Kunst spricht sie in uns jedoch wie die Poesie und die Malerei nebst dem Intellekt auch das Herz an. Monteverdi beherrscht diese Sprache meisterhaft und lebte in einer Zeit, die noch nicht so streng zwischen Kunst und Wissenschaft, Erbauung und Erkenntnis, Verstand und Gefühl unterschied.

Inhaltsverzeichnis der Dokumentation

  • Epoche, Leben und Werk
  • Stellenwert der Marienvesper im Gesamtwerk
  • Aufbau, Struktur, Plan Marienvesper und die versch. Stile und Ausdrucksformen
  • Vom Erstdruck 1610 bis heute. Ein Krimi in mehreren Akten
  • Aufführungspraktische Fragen, Probleme und Entscheidungen und:
  • Warum heute noch die Marienvesper?

Faksimile des Basso Continuo